8.-15. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
15. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
Semesterabschluss des Sommersemesters 2013
Evangelium: Lk 10,25-37
Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben. Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!
Und was hab ich jetzt davon?
Welche Musik mag ich besonders, welcher Film hat mich fasziniert in der letzten Zeit, welches Buch lese ich gerade, … Es liegt an jedem selbst, was er (bzw. sie) erzählt von sich in den sozialen Netzwerken. Was immer dort aber grundgelegt ist, es sagt etwas aus über die Person, und genau so soll es ja auch sein, dass sich Interessierte ein wenig ein Bild machen können über mich. Was sagt es also wohl aus, wenn in meinem FB Account als lesenswertes Buch steht Heinrich Bölls „Die Verlorene Ehre der Katharina Blum“? Ja, dieses Buch bedeutet mir sehr viel. Es erzählt von einer Zeit, die ich als junger Erwachsener sehr bewusst mit erlebt habe. Die Gesellschaft ist immer im Wandel und immer muss der und die einzelne seinen und ihren Bezug dazu finden. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig als uns in irgendeiner Weise zu verhalten zu dem, was um uns herum geschieht.
Die Zeit der 70iger Jahre, in denen auch das Buch von Böll angesiedelt ist, die war sehr bewegt von einer Aufbruchsstimmung und dem wachsenden Selbstbewusstsein einzelner, sich zu befreien von der Haltung der Nachkriegsgeneration, das Leben festhalten zu wollen, bewahren zu wollen, was man mühevoll aufgebaut hat in den Trümmerstädten und Landschaften, die der Naziterror hinterlassen hat. Die Ehrfurcht vor dem Geleisteten hat viele in der Gesellschaft gelähmt und Veränderungen und Fortschritte in dem Zusammenleben der Menschen erschwert. Man wollte bewahren, was sicher verständlich ist nach dem erfahrenen Leid des Krieges; aber das bewahren wollen machte die Gesellschaft auch unbeweglich Neuem gegenüber, unbeweglich und zuweilen auch ungerecht, neuem Denken und Fühlen gegenüber. Es war eine Zeit des Aufbegehrens und des Frei werden wollens gegenüber erstarrten Prinzipien. In dieser Zeit leben die Romanfiguren von Heinrich Böll.
Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die sich in einen Mann verliebt – in Ludwig Götten – der unter anderem wegen Fahnenflucht von der Presse steckbrieflich gesucht wird (vor allem von einem Verlag, der die Zeitung mit den großen roten Buchstaben herausgibt). Sich dem Kriegsdienst (so hieß damals die abzuleistende Zeit bei der Bundeswehr), sich dem Kriegsdienst zu verweigern, das grenzte für viele an Vaterlandsverrat. Die junge Frau verliebt sich in den vermeintlichen Terroristen Ludwig Götten, der als Terrorist verfolgt wurde, weil er den Frieden auf nicht militärische Weise stärken wollte. Es wird eine konfliktreiche Liebesbeziehung zweier vom Charakter sehr verschiedener Persönlichkeiten zwischen dem politisch engagierten straffälligen und die bürgerliche Gesellschaft hinterfragenden Deserteur einerseits und der traditionsbewussten, in die bürgerliche Gesellschaft integrierten junge Frau andererseits. Mich fasziniert an Katharina Blum vor allem die Tatsache, dass sie sich verliebt in einen Menschen, der geächtet wurde von der bürgerlichen Gesellschaft, der die Regeln der Gesellschaft missachtete; diese erschienen ihm unmenschlich und er kritisierte lautstark, dass diese Gesellschaft in der Vergangenheit gesetzte Normen höher bewertete als die Lebenswirklichkeit der Menschen, vor allem aber konnte er sich nicht damit abfinden, dass die eigene persönliche Freiheit des Gewissens dem normierten Gedankengut der Allgemeinheit untergeordnet werden musste. Katharina Blum, dieses unbedarfte junge Mädchen, in einer ganz anderen Realität zuhause, ließ sich mit hineinziehen in diesen Sog der Verfolgung und Verleumdung. Sie liebte einen Menschen, den zu lieben unanständig war.
Auch das Auge des Mannes aus Samarien war einem anderen Menschen wohlgefällig: einem Menschen, der am Boden lag. Dieser wurde zwar nicht verfolgt, so wie Ludwig Götten, er wurde – im wahrsten Sinn des Wortes – links liegen gelassen. Er war auch kein gefundenes Fressen für die Presse, er war gar nicht existent, und das ist für einen Menschen mindestens genauso entwürdigend. Der Mann aus Samarien nun sah ihn, berührte ihn und ließ sich anrühren von dem Gefallenen.
Beide, Katharina und der Mann aus Samarien hatten Augen für Schicksalsmenschen, für Outlaws. Katharina und der Mann aus Samarien standen ein für Überzeugungen, die sie für lebens- ja: überlebenswichtig hielten. Diese zu leben, dazu waren sie bereit, Grenzen des Anstandes zu überschreiten und gesetzte, allgemeingültig festgefahrene Normen zu ignorieren. Katharina Blum wird mit ihrem Freund Ludwig Götten zur gesetzlich gesuchten Straffälligen und der Mann aus Samarien durch seine Hilfsbereitschaft zum religiös Unreinen, weil er einen Unreinen berührte. Liebe und Glauben ziehen immer Konsequenzen nach sich, die das Leben ganz tief in der Mitte berühren und treffen.
„Und was hab ich davon?“, diese Frage stand ganz sicher bei beiden nicht im Vordergrund, als sie ihre lebensentscheidenden Wege gegangen sind. Katharina und der Mann aus Samarien haben wohl erkannt, dass diese Frage erst Sinn macht, wenn sie als unsinnig erkannt worden ist. Sie haben aber auch erkannt, dass diese unsinnige Frage dann eine konstruktive Wirkkraft bekommt, wenn sie nicht als egoistische Selbstbeweihräucherung missbraucht, sondern im Stillen als Geschenk erkannt wird. Denn in der Tat, die beiden haben etwas davon. Katharina und der Mann aus Samarien dürfen die Erfahrung machen, dass ein Leben für und mit anderen Leben füllend ist. Sie dürfen spüren, in sich zu ruhen, weil sie anderen zur Ruhe geworden sind. Sie erkennen sich selbst, indem sie den anderen wahrnehmen. Und nicht zuletzt dürfen sie sich verbunden fühlen, weil sie andere miteinander verbinden. Braucht man mehr zum Leben??
„Und was habe ich davon?“ In einer Gesellschaft, in der nur Leistung und Erfolg zählt, in der Wachstum als unabdingbare Zielperspektive gesetzt ist, muss diese Frage krank machen, denn sie drängt uns Menschen in eine geistige, ja sogar physische Isolation. Von all dem, was ich tue und sage habe ich nur etwas, wenn ich das Beste, Größte, Bedeutsamste, Intelligenteste Individuum bin. In dieser Gesellschaft macht die Frage des Nutzens für einen selbst einsam und auch krank. Es scheint, als mache diese Frage dann nur Sinn, wenn sie einem zugeworfen wird von Menschen, die jenseits gesellschaftlicher Normierung leben und unseren Blick genau dahin führen. So wie Katharina, die sich der Liebe zu Ludwig gestellt hat, einem Menschen, der in der bürgerlichen Gesellschaft keine Heimat gefunden hat. Oder wie der Mann aus Samarien, der sich dem Unreinen zugewandt hat, der nur Unrein war, weil er nicht Teil der anerkannten Gesellschaft war. Katharina und der Mann aus Samarien haben gehandelt nicht aus Mitleid, ja nicht einmal aus Barmherzigkeit, sondern aus Überzeugung, das Richtige zu tun. Und diese Überzeugung erwuchs nicht aus der Gewissheit des Vorgegebenem sondern aus dem Mut eigenständiger Unabhängigkeit. „Geh und handle genauso“, das ist leichter gesagt aber getan. Aber einen Versuch ist es wert.
Christoph Simonsen
14. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
Evangelium: Lk 10,1-9
Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.
LAIEN SIND OUT – GOTT KENNT NUR PROFIS
Einige von Euch erinnern sich vielleicht noch an das kleine Rollenspiel, das Lukas und ich am vergangenen Sonntag zu Beginn des ökumenischen Gottesdienstes dargeboten haben. Lukas bewarb sich in dem Unternehmen McJeezy&Company. Die Perspektive war, aufsteigen zu können von einem einfachen Jünger zu einem Apostel. Der Personalchef machte dann im Verlauf des Gespräches deutlich, dass nur dem diese Karriere gelingen würde, der alles gibt von sich, der auf Freizeit und Privatleben zu verzichten bereit ist; ja sogar eine gewisse Art der Selbstverleugnung wurde erwartet, da nur die Firma zählt, die einzelne Person hat dahinter zurückzustehen. Dieses gespielte Bewerbungsgespräch sollte ein Einstieg sein in die Thematik des Gottesdienstes, der über die Unzumutbarkeit des Glaubens reflektieren wollte.
Es scheint nun, als könnte ich heute Entwarnung geben. Der Glaube verlangt zwar übermenschliches, aber Gott sei Dank nicht von allen. Diese Last des Vollkommenen wird – so scheint es – nur wenigen auferlegt, die sich in besonderer Weise berufen fühlen. Es gibt halt die Arbeiter und es gibt den Weinberg, der bearbeitet werden muss. Die heutige verfasste Kirche hat das konsequenterweise institutionalisiert: Es gibt die Priester und es gibt das Volk. Es gibt die Verkünder und es gibt die, denen die Verkündigung zuteil wird. Es gibt die Profis des Glaubens und es gibt die Laien eben. Nicht nur, dass der Arbeiter – der Priester – ein professionelleres theologisches Wissen besitzt, durch die Weihegnade taucht er auch ein in eine wesensneue Gottesbeziehung. Wer das jetzt nicht versteht, was das ist, eine „wesensneue Gottesbeziehung“, der muss sich nicht schämen, denn ich gestehe, mir geht’s nicht anders. Ich könnte jetzt zwar diese Wesensunterschiedenheit theologisch erklären, schließlich habe ich ja Theologie studiert (und das sogar sehr gern und mit wachsender Begeisterung), aber mit diesem gängigen Priesterbild, welches suggeriert, durch einen sakramentalen Akt würde ein Mensch in eine intensivere Gottesbeziehung eintauchen, die ein konsequenteres und vollkommeneres Leben nach sich ziehen würde: mit diesem Priesterbild stehe ich bis heute auf Kriegsfuß, nicht zuletzt deshalb, weil diese vollkommenere Gottesbeziehung irgendwie ja auch automatisch einhergeht in der Kirche mit einer Autoritäts- und Machtstruktur, die einzelnen Vorrechte einräumt und der Mehrheit Gehorsam abverlangt. Die Wahl des neuen Papstes Franziskus lässt Hoffnung aufkeimen, dass dieses propagierte Kirchenbild, die Priester seien die Garanten des Glaubens und nur die von Ihnen zu vollziehende Mystik einer entrückten Liturgie würde den Weg zu Gott bahnen, aber Hoffnung alleine ist zu wenig. Es bedarf ganz dringend auch erlebbarer und sichtbarer Taten, dass es in der Schöpfung Gottes keine „Zwei-Klassen-Glaubensgemeinschaft“ geben kann. Es gibt nicht die Profi-Christen und die Hobby-Christen. Der christliche Glaube ist keine Religion der Hauptamtlichen und die Zukunft eines gelebten und erlebbaren Glaubens von den Priestern abhängig zu machen erzeugt Befremdlichkeit und mangelndem Realitätsbewusstsein.
Das heutige Evangelium bezeugt dies, auch wenn die ewig Traditionsbewussten darin anderes lesen und erkennen: Alle sind in gleicher Weise herausgefordert zu einer Entscheidung. Und insofern bleibt der christliche Glaube eine Zumutung und eine überbordende Herausforderung für alle. Jesus spricht die Menschen in einer Weise an, die keinem Katechismus, keiner lehramtlichen Forderung gerecht wird. Nicht dieses oder jenes sollen wir beachten, nicht dieses oder jenes Gebot erfüllen. Die Freundschaft zu Gott versichtbart sich nicht darin, dass wir uns darin ergehen, eine kleinkarierte und verstaubte – und dazu noch die Persönlichkeit des einzelnen Menschen missachtende – Moral, von Generation zu Generation in der Kirche weiterreichen. Nein, wir sollen nur eins: gehen, einfach gehen, an nichts gebunden als am Wort und Lebensbeispiel Jesu. Und gerade so wird für uns Menschen der Glaubensweg ein spannender wie zugleich unplanbarer Lebensweg. Dieser Gott, den Jesus verkündet, der fordert heraus. Er will, dass wir aufbrechen; aufbrechen aus den viel zu engen Grenzen der eigenen Mickerigkeit, aufbrechen aus den zumeist überbewerteten Traditionen, die Sicherheit vorgaukeln aber eigentlich nur Machtstrukturen festigen wollen. Dieser Gott will, dass wir aufbrechen und offen werden für eine ungewisse Weite und für das Wagnis einer unkontrollierbaren Freiheit, deren Lebenskraft wir sonst nie erfahren könnten.
Gottes Sehnsucht ist es, dass wir frei werden, wie er frei ist, frei werden für den Willen Gottes, der uns entfesselt von allem, was uns unserer menschlichen Würde entfremdet.
Mir verschlägt dieser jesuanische Auftrag die Sprache, weil er nämlich die vorgegebenen Strukturen, in denen sich Leben in Kirche und Welt vollzieht, völlig außer Acht lässt. Reich Gottes ist mehr als ein feierliches Hochamt oder ein spirituelles Happening bei Kerzenschein und frommem Gesang. Reich Gottes ist auch völlig unabhängig von einem vollen Priesterseminar. Gott will sich nicht verbeamten lassen. Dieser unausgesprochene Kuhhandel in Gemeindekreisen, dass das Kirchenvolk den Priester ehrt, der sich – einschließlich des Zölibates – verpflichtet, ein vollkommenes Leben zu führen und dieser dann als Gegenleistung, dass er mit Macht und Anerkennung beschenkt wird, den weniger vollkommenen mit Barmherzigkeit und Gnade begegnet, dieser Kuhhandel ist ein Irrläufer.
Schließlich sagt Jesus ja nicht, die Leute sollten sich jemanden aussuchen, der sich auf den Weg machten soll, er sagt schlicht und unterschiedslos: Geht ihr. Alle sind aufgefordert und alle stehen in der Verantwortung. Die Perle des Lebens, Gott selbst, finde ich eben nicht, indem ich Spürhunde losschicke, diese zu suchen. Und Gott finde ich auch nicht, indem ich mich besinnend zurückziehe, vielmehr soll ich die Erde umgraben, wenn nötig auch mit den eigenen Händen.
Dem Lamentieren, wie leer doch die Gottesdienste sind und wie wenig für den Priesternachwuchs gesorgt ist, dem Klammern an bestehenden Strukturen und einem bequemen delegieren an andere, die berufener sein sollen als wir, steht hier und heute der Auftrag Jesu gegenüber, einfach loszugehen und mutig Wege zu neuen Ufern zu suchen. Der Shalom, der Friede Gottes, darf uns sicher sein auf den unbekannten Wegen zu neuen Zielen. Uns bleibt die Entscheidung auferlegt, ob wir gehen wollen unter den Bedingungen der Firma McJeezy&Company.
Christoph Simonsen
11. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
Evangelium: Lk 7,36-50
Jesus ging in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist. Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister! (Jesus sagte:) Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht. Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir (zur Begrüßung) keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!
Hinter jeder Sünde steckt auch eine Sehnsucht
Das Evangelium ist und bleibt eine lebensbegleitende Überforderung für jeden Menschen und nur wer es wagt, die eigenen Traditionen und vorgefertigten Moralvorstellungen zu hinterfragen und wenn nötig auch zu überwinden, der wird erfahren, welche Kraft Vergebung und Vertrauen in sich trägt. Nichts anderes, aber auch nicht weniger, wird im heutigen Evangelium durchexerziert. Und welche Begegnungskonstellation würde sich da besser eignen als die, zwischen einer Dirne und einem biederen Mann. Beide tun das gleiche, aber die Frau ist natürlich die Böse und der Mann ist der – na ja, wenn nicht der Gute, so doch zumindest – der Normale.
Diese Frau da, die da nun also zu Jesus kommt, ist also zweifelsohne im Blick der anderen eine Sünderin. All die anderen, die dabeistehen, das sind die Normalen, deren lässliche kleinlichen Vergehen unter den Tisch fallen können. Das macht doch ein gutes Gefühl, immer irgendwie einen zu finden, der schlechter ist als man selbst. Und wer ist da geeigneter als eine Dirne?
Nein, es soll nicht unterschlagen werden: Wer Sexualität ent-personalisiert, wer Sexualität auf die Befriedigung eines Triebes reduziert, der entwürdigt die menschliche Person, sich selbst und andere. Und auch in der Begegnung zwischen Jesus und der stadtbekannten Sünderin wird nichts verharmlost oder bagatellisiert. Und trotzdem passiert in dieser Begegnung etwas anderes als nur eine objektive Verurteilung. Jesus sieht diese Frau ganz, er sieht nicht nur, was sie tut, er sieht auch, wer sie ist. Jesus erkennt die ganze Verstricktheit, in der diese Frau gefangen ist. Er auch ihre Blöße, aber nicht nur die – im wahrsten Sinn des Wortes – die ihr Beruf mit sich bringt, Jesus sieht auch die entstellende Nacktheit ihrer Seele.
Jesus kann dieses Leben der Frau aber nur deshalb so tief anschauen, weil sie all ihre Verzweiflung und all ihre Hoffnung zusammenpackt und sich ihm offenbart. Ist euch auch aufgefallen, dass die Frau in der ganzen Begegnung nicht ein Wort sagt? Sie ist vielleicht auch nicht gewohnt, viele Worte zu machen. Ihr Berufsethos verlangt Taten, keine Worte. Und all diese Gesten, all die Zeichen, die sie aus ihrem Alltag heraus kennt, die wendet sie auch bei Jesus an. Mit einem Unterschied: wofür sie sonst bezahlt wird, das kommt ihr jetzt aus tiefstem Herzen.
Der Kuss, die innige Berührung und die kleinen Gesten der Bereitschaft, zu dienen, salben nämlich und trocknen. Zum ersten Mal womöglich erfährt diese Frau, dass sie wirklich lieben kann – und dass sie der Liebe würdigt ist.
So zeigt es Jesus dem Simon, diesem selbstgerechten Mann: Zur Umkehr bewegen kann ich einen Menschen nicht, indem ich mich von ihm absondere und ihm mit Missachtung begegne im Sinne eines: Nur gut, dass der liebe Gott weiß, dass ich besser bin als diese. Zur Umkehr bewegen kann ich nur, wenn ich mich dem anderen zuwende, die Schuldverstrickung des anderen an mich herankommen lasse und hinter dieser Sünde auch das Gute zu entdecken versuche. Doch, wirklich, hinter jeder Sünde steckt auch eine Sehnsucht, hinter jedem schuldhaften Tun verbirgt sich die Erkenntnis eines großen Mangels. Eben dies erkennt Jesus, und so kommt es zu einer ernsthaften, liebevollen, ja sogar erotischen Beziehung zwischen der Frau und Jesus.
So, wie Jesus sich der Frau zuwendet, entlarvt er diesen Simon, der in abwertender Weise seine Lebenseinstellung zeigt: ‚Damit will ich nichts zu tun haben. Diese Frau ist mir zuwider. Haltet sie mir vom Leib’. Anders Jesus: er will mit dieser Frau zu tun haben. Jesus geht den Sündern und er geht der Sünde nicht aus dem Weg, denn auch und gerade hinter einer Sünde verbirgt sich ein suchender Mensch.
Heinrich Böll, hat sich einmal eine „Theologie der Zärtlichkeit Maria Magdalenas“ gewünscht. Diese sogenannte stadtbekannte Sünderin, die so selbstherrlich von den scheinbar Gerechten mit Füßen getreten und mit Verachtung gestraft worden ist, diese stadtbekannte Sünderin hat die wirkliche Kraft der Liebe Jesu mit Haut und Haar erfahren dürfen, und dadurch ist sie manch anderem sicher meilenweit voraus. Sie konnte in Frieden gehen.
Kann es sein, dass auch wir erst dann die verwandelnde Kraft der Liebe entdecken und in Frieden gehen können, wenn wir mit den Sünden – den eigenen wie mit denen der anderen – liebevoller umgehen und wenn wir aufhören, uns selbst immer ein wenig besser und gottgewollter wahrzunehmen als die anderen? Müssen wir vielleicht lernen, Verhalten, das uns missfällt, nicht immer gleich als Sünde zu deklarieren, sondern in dem fragwürdigen Verhalten auch eine Sehnsucht nach Liebe zu entdecken. Jesus hat nie das Verhalten eines Menschen losgelöst von dem konkreten Menschen gesehen. Vielleicht müssen wir erkennen, dass es gar nicht DIE SÜNDE und DAS GUTE gibt. Aber es gibt immer DEN KONKRETEN MENSCHEN. Und wenn wir den sehen und ihn mit den Augen Jesu sehen, dann werden wir uns noch wundern, wer wohin alles umzukehren vermag.
10. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
Evangelium:
Lk 7,11-17
Einige Zeit später ging er in eine Stadt namens Naïn; seine Jünger und eine große Menschenmenge folgten ihm. Als er in die Nähe des Stadttors kam, trug man gerade einen Toten heraus. Es war der einzige Sohn seiner Mutter, einer Witwe. Und viele Leute aus der Stadt begleiteten sie. Als der Herr die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine nicht! Dann ging er zu der Bahre hin und fasste sie an. Die Träger blieben stehen und er sagte: Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf! Da richtete sich der Tote auf und begann zu sprechen und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück. Alle wurden von Furcht ergriffen; sie priesen Gott und sagten: Ein großer Prophet ist unter uns aufgetreten: Gott hat sich seines Volkes angenommen. Und die Kunde davon verbreitete sich überall in Judäa und im ganzen Gebiet ringsum.
Ein Evangelium, das zum Himmel schreit
„Ich bin nur scheintot“; einen Zettel mit dieser Information trug der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen immer bei sich im Portemonnaie. Da er viel auf Reisen war und in Hotels nächtigen musste, und da er einen sehr tiefen Schlaf hatte, legte er diesen Zettel immer auf den Nachttisch, damit Hotelangestellte ihn nicht versehens für tot hielten. Er hatte eine panische Angst davor, schlafend beerdigt zu werden. Worin immer diese Angst dieses wunderbaren Märchenerzählers auch begründet war, sie ist wohl ein Urphänomen von uns allen: Uns Menschen bedrängt sehr oft eine unbändige Angst vor dem Tod und zugleich pocht in uns eine unerschütterliche Sehnsucht nach Leben. Wie oft bin ich am Grab eines Menschen gestanden und habe mit den Angehörigen diese unbeantwortbare Frage „Warum“ gestellt bekommen; und ebenso oft verhallte diese Frage in der Weite der Natur, unbeantwortet und ließ mich und die anderen unbefriedigt und ratlos – im wahrsten Sinn des Wortes – im Regen stehen. Es ist erst wenige Wochen her, dass ich Michael, einen lieben Freund, begleitet habe auf den Weg zum Grab seines Sohnes Moritz und wieder lag diese stechende Frage nach dem Warum in der Luft und die Gewissheit, dass dieser Tod, wie alle Tode unwiderruflich sind und es keinen Weg zurück gibt. Das Leben kann so verdammt ungerecht sein. An diesem Morgen dort in Garmisch war keiner, der Moritz Leben eingehaucht hätte.
Und dann hören wir heute im Evangelium davon, dass Jesus die Fähigkeit und die Macht hat, die Gesetze des Lebens und der Natur außer Kraft zu setzen und einen Menschen aus dem Tod ins Leben zurückzuholen. Das Leben kann so ungerecht sein; kann der Glaube auch ungerecht sein? Denn wenn diese Geschichte wahr ist, warum bewahrheitet sie sich dann nur einmal?
Wenn diese Geschichte wahr ist , muss sie dann nicht bei meinem Freund Michael und bei mir und bei vielen anderen von der Trauer überrollten Enttäuschung, Wut, zumindest Glaubenszweifel aufkommen lassen? Jede und jeder von uns war doch wohl schon genötigt, sich von Menschen zu verabschieden, die gestorben sind und deren Tod Schmerz und ein Gefühl von Alleinsein oder Verloren sein hinterlassen hat.
Wenn diese Geschichte aber nicht wahr ist, was hat sie dann im Evangelium zu suchen. Wenn diese Geschichte nicht wahr ist, wem kann man dann in Fragen des Glaubens überhaupt noch Vertrauen schenken?
Ich habe keine stichhaltigen Argumente, die für oder gegen den Wahrheitsgehalt dieses Text aus der Bibel sprechen. Von meinem Empfinden her aber sperrt sich etwas in mir, diesen Worten Glauben zu schenken. Ich finde es einfach ungerecht, dass der Junge aus Nain im wahrsten Sinn des Wortes wieder aufstehen durfte und Moritz und die vielen anderen, die so gern noch gelebt hätten, eben nicht. Und es macht mich zornig, dass Gott scheinbar meine Wut und meinen Gerechtigkeitssinn völlig ignoriert.
Je mehr ich mich aber jetzt in meinen Gefühlen verstricke um so deutlicher wird mir etwas anderes: Diese Geschichte schreit geradezu nach Auseinandersetzung nach Diskurs und Streitgespräch. Diese Geschichte konfrontiert mich mit der Frage, was für mich im Glauben unabdingbar ist, was Sinn macht, diesen Glauben nicht über Bord zu werfen, sondern in ins Leben hineinzunehmen. Und eines kann und darf ich nicht unterschlagen: Es gibt andere Erfahrungen in meinem Leben, in denen der Glaube mir Stütze und Halt war und das Wort der Schrift mich zum Leben ermutigt hat.
Es scheint also so zu sein, dass zwischen einer Bestärkung aus dem Glauben und einem Zweifel an ihm nicht Welten liegen; Bestärkung durch Gott und Zweifel an Gott sind zwei Grundgefühle des Menschen. Bestärkung und Zweifel, so ist meine Erfahrung, entfalten sich In Zeiten großer Freude oder Trauer. In solchen Zeiten existentieller Emotionen ist der Wunsch verständlich, wahrgenommen zu werden. Und davon darf ich in diesem heutigen Evangelium auch sehr viel hören; davon, dass Menschen einander wahrnehmen und mitfühlen. In diesem Buch des Glaubens ist Raum für Klage und Mitgefühl. Die Mutter traut sich, lauthals zu klagen und Jesus begegnet ihr aufrichtig mitfühlend. In mir keimt eine Ahnung; dass nämlich genau das Glaube ist und dass der Glaube sich gerade so entwickelt.
Mit diesen Gedanken kann ich mich wieder versöhnen mit diesem Bibelwort. Glaube bedarf ohne Zweifel der Reflexion, Glaube muss unserem Denken und unserem Verstand stand halten, auch das ist unbestritten, aber es bleibt über allem Reflexionsvermögen und trotz eines ständigen Diskurses zwischen Glaube und Wissenschaft die Notwendigkeit und die Not, dass der Glaube gelebt und gewagt sein will und muss. Die trauernde Mutter hat ehrlich getrauert und geklagt, nicht, um mit einem Wunder belohnt zu werden, sondern weil schlicht Trauer, Enttäuschung, vielleicht auch Wut über den viel zu frühen Tod ihres Sohnes in ihr war. Sie wollte, dass man sieht, was in ihr vorgeht, woran sie leidet, warum sie leidet. Und Jesus zeigt Mitgefühl: er zeigt wahrhaftige Anteilnahme, Mitleid, wirkliches Mitleid, die innere Bereitschaft, am Leiden der Frau teilzunehmen. Was immer dann geschehen sein mag, das kann keiner von uns überprüfen. Aber die Kraft zu klagen und der Mut zum Mitleid haben die Mutter und ihre Zufallsbekanntschaft verändert. Die Kraft zu klagen und der Mut zum Mitleid ist bei beiden Frucht des Glaubens. Bei aller – sicher auch menschlich berechtigten – Skepsis über den auferstandenen Sohn: Die Hauptpersonen dieser Erzählung sind die Mutter und Jesus, nicht der Sohn; von ihrem Glauben, von ihrer aus dem Glauben geprägten Emotionalität ist die Rede, von ihrem Mut und ihrer Kraft, sich mit ihrem Inneren zu zeigen.
Wenn ich darüber nachdenke, erscheint mir dieses Evangelium gar nicht mehr so widersinnig und deutungsschwer. Es lädt ein, aus der Kraft des Glaubens den Gefühlen und Empfindungen zu trauen und sie zu leben. Und das, das weiß ich aus Erfahrung, das tut gut.
Christoph Simonsen
9. Sonntag im Jahreskreis C – 2013
Evangelium: Lk 7,1-19
Als Jesus diese Rede vor dem Volk beendet hatte, ging er nach Kafarnaum hinein. Ein Hauptmann hatte einen Diener, der todkrank war und den er sehr schätzte. Als der Hauptmann von Jesus hörte, schickte er einige von den jüdischen Ältesten zu ihm mit der Bitte, zu kommen und seinen Diener zu retten. Sie gingen zu Jesus und baten ihn inständig. Sie sagten: Er verdient es, dass du seine Bitte erfüllst; denn er liebt unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut. Da ging Jesus mit ihnen. Als er nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, schickte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen: Herr, bemüh dich nicht! Denn ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst. Deshalb habe ich mich auch nicht für würdig gehalten, selbst zu dir zu kommen. Sprich nur ein Wort, dann muss mein Diener gesund werden. Auch ich muss Befehlen gehorchen und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. Jesus war erstaunt über ihn, als er das hörte. Und er wandte sich um und sagte zu den Leuten, die ihm folgten: Ich sage euch: Nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden. Und als die Männer, die der Hauptmann geschickt hatte, in das Haus zurückkehrten, stellten sie fest, dass der Diener gesund war.
Wenn reden und Leben in Einklang stehen…., dann wirken wir Wunder
„Ein Mann, ein Wort“: wie ich diese Machosprüche liebe! Ich hoffe, ihr hört sehr klar den ironischen Unterton heraus, so wie ich das gerade sage. Aber losgelöst von dem miesen Geschlechterbild, das in dieser Plattitüde vermittelt wird, wirft es im Blick auf das heutige Evangelium eine Frage auf, die mich umtreibt: Wie verlässlich bin ich in dem, was ich sage? Jesus jedenfalls sind Worte allein zu wenig, er lässt seinen Worten immer Taten folgen; Worte bewahrheiten sich erst in den Taten. Gerade hatte er seine große Rede beendet, die wir alle als die Bergpredigt kennen, da wird er von den Menschen gebeten, den Diener eines heidnischen Hauptmanns zu heilen. In diesem Wunsch steckt Zündstoff pur drin, und das gleich in dreifacher Weise.
Jesus heilt einen Sklaven. Und ich erinnere mich des Wortes Jesu: „Kein Mensch hat das Recht, sich über einen anderen zu erheben, weil nur einer der Meister ist, alle anderen aber Schwestern und Brüder“. Mit der Einschätzung, ein Mensch sei dem anderen „Sklave“ wird ein struktureller Unterschied zum Ausdruck gebracht. Der eine ist weniger als der andere. Es geht nicht nur darum, dass der eine dem anderen einen Dienst erweist, es geht um ein signifikant unterschiedenes Menschenbild. In der Gemeinschaft der Glaubenden, so nun Jesus, wird die Werthaftigkeit eines Menschen aber nicht an dem bemessen, was er kann oder was er hat, sondern einzig daran, was bzw. wer er oder sie ist. Ohne Zweifel ist in unserer Welt dieses entwürdigende Menschenbild überwunden. Und dennoch gilt es auch hier, strukturelle Klassifizierungen, Einstufungen, sehr kritisch anzumerken. Als Beispiel sei die Frage aufgeworfen, warum Frauen ein Dienstamt in der katholischen Kirche bis heute verwehrt wird. Dieses Dilemma ist in dem sogenannten Dialogprozess, den die deutschen Bischöfe initiiert haben, ein Thema, das ganz oben auf der Liste der offenen Fragen steht. Und was ist jetzt der ernsthafte Vorschlag zur Erneuerung? Man will neben dem sakramentalen Amt des Diakons, welches weiter dem Mann vorbehalten ist, eine nicht sakramentale Beauftragung von Frauen zu einem nicht näher definierten diakonalen Dienst in den Blick nehmen. Und dies, um ja nicht in Widerspruch zu geraten zu den offiziellen Vorgaben, die das römische Lehramt vermittelt. Wäre das wirklich ein ernstnehmen weiblicher Begabungen? Ich wage, einen Zweifel auszusprechen. Und dass gerade in diesem Zusammenhang ein deutscher Bischof und evangelikale Kreise die Frauen auffordern, mehr Kinder zu zeugen und sie zuhause zu erziehen, weil das ihre ursprünglichste Gabe und Aufgabe wäre, erinnert mehr an Denkstrukturen des 19. Jahrhunderts als an das des 21. Jahrhunderts. Oder ein weiteres Beispiel, welches vor Augen führt, dass in unserer christlichen Kultur Menschen bewertet werden aufgrund ihres So-Seins, wie sie geschaffen sind, und eine – man muss heute wohl sagen: Minderheit – sie dennoch nicht so akzeptieren will, wie diese Menschen eben sind sich das Recht herausnehmen, sie ausschließen zu wollen aus der großen Gemeinschaft der Gotteskinder.
Denn wie kann es sein, dass ein engagierter Pfleger in einem katholischen Krankenhaus entlassen wird, weil er seine Kolleginnen und Kollegen (und Vorgesetzten) einlädt zu seiner Verpartnerung mit dem Menschen, den er liebt und mit dem er vorbehaltlos und verantwortungsvoll zusammenleben möchte.
In unserer Gesellschaft, ja noch klarer: in unserer Kirche werden Worte des Respektes, der Wertschätzung und der Anerkennung ausgesprochen, gehandelt wird aber oft nach nicht mehr nachvollziehbaren alten Menschenbildern. Sind wir als Christinnen und Christen nicht geradezu aufgefordert, den Menschen als Ebenbild Gottes zu sehen und eben nicht als – ich übertreibe jetzt bewusst – nutzbares Wesen, wo der eine die andere klassifiziert und sich das Recht herausnimmt, sich zu erheben über andere?
Des weiteren erfüllt Jesus die Bitte eines heidnischen Hauptmanns. Und auch hier wird sein Wort lebendig: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt“ Nun, wir sind inzwischen sehr bemüht, anders glaubende Menschen nicht mehr als Feinde zu betrachten, aber tun wir genug, sie als Freunde zu gewinnen? Jesus zieht keine Grenzen zwischen Menschen verschiedenen Glaubens. Einzig von Belang ist für ihn, dass sie Gutes denken und zu tun bemüht sind. Ich weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten eines interreligiösen offenen Dialoges. Aber es geht nicht anders. Unsere Welt hat keine Zukunft, wenn wir den Respekt voreinander nicht lernen und das Wertvolle in der Religion des anderen missachten. Dass es möglich ist, die eigene Überzeugung und den eigenen Glauben zu lieben und zugleich die Überzeugung und den Glauben des anderen zu achten, das zeigt Jesus, indem er seinem Wort Taten folgen lässt.
Nicht zuletzt lobt Jesus in der heutigen Perikope den festen Glauben eines Menschen. Und wieder löst er seine eigenen Worte ein, die er zuvor gepredigt hat als er von dem Fundament sprach, auf dem ein Haus gebaut sein muss. Ihr kennt sicher alle auch diese jesuanische Botschaft. Das Fundament des Glaubens, den Jesus meint und den er auch lebt, ist das Vertrauen, dass Gott es gut meint mit uns Menschen. Nicht ein gelehriges Wissen trägt unseren Glauben, sondern ein herzliches Vertrauen. Jesus lebt auch hier, was er predigt.
Leben wir, was wir sagen? Wir, jede und jeder einzelne und wir als Gemeinschaft der Glaubenden? Gleich, bevor wir gemeinsam Mahl halten, sagen wir, was der Hauptmann gesagt hat: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. So bekunden wir, dass wir alle einzig leben können aus der Gnade Gottes. Wir dürfen uns stärken vielleicht müssen wir uns sogar stärken, damit unser Leben immer mehr deckungsgleich wird zu dem, was wir reden.
Christoph Simonsen
Dreifaltigkeits-Sonntag/C – 2013
Evangelium: Joh 16,12-15
Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.
Ich oder nicht ich, das ist hier die Frage
Mir stecken die Eisheiligen ganz schön in den Knochen, und nicht nur das, dieses fröstelnde Wetter geht mir ganz dumm aufs Gemüt. Ich darf gar nicht an die Schafskälte denken, die uns ja auch noch bevorsteht. „Wann wird es endlich wieder Sommer“, diesen Schlager von Rudi Carrell sing ich inzwischen schon gebetsmühlenartig jeden Morgen, wenn ich die Rollladen hoch mache zuhause. Ich hab die dicken Pullis so satt, von der Regenjacke mal ganz abgesehen. Ich empfinde dieses Gefühl, sich so einpacken zu müssen, irgendwie unnatürlich. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig übertrieben oder zu weit hergeholt, aber irgendwie führt doch jedes Kleidungsstück dazu, sich mehr zu verhüllen und damit auch den anderen Menschen zu entziehen. Hinter dem Wunsch, endlich wieder das dünnere T-Shirt oder die kurze Hose mit den Sandalen anzuziehen, offenbart sich auch das Bedürfnis, mehr von sich zu zeigen. Und ich meine nicht nur, mehr Haut zu zeigen, sondern mehr von sich zu zeigen, von seinem Wesen, von dem, was einen auszeichnet. Irgendwie dürfen wir doch alle stolz sein auf uns, so wie der liebe Gott uns geschaffen hat; und wer sich dessen bewusst ist, so wie er oder sie ist, von Gott geschaffen zu sein, der zeigt sich auch gern. Was zum Teil in den Fitness-Centern übertrieben propagiert wird, das liegt doch in einer guten und schönen Weise in uns allen drin, dankbar und eben stolz zu sein auf sich selbst, wie man gewachsen, gediehen, geworden ist und was jede und jeder in einer persönlichen Weise aus sich gemacht hat. Und dabei geht es nicht um den Wettbewerb zum top model oder zum Superstar; es geht nicht darum, top zu sein, es geht darum „ich“ zu sein und für dieses „ich“ dankbar und darauf auch stolz zu sein.
Ich glaube, diese Sehnsucht nach Sommer, nach Sonne, Licht und Wärme ist auch eine Sehnsucht nach Unbekümmertheit, Sorglosigkeit, Fröhlichkeit und auch Freiheit. Es gibt doch kaum was Schöneres, als entspannte und fröhliche Menschen durch die Straßen, über den Markt laufen zu sehen, die miteinander und nebeneinander das Leben genießen. Und was nicht weniger erfreulich ist, diese mit den Händen fast schon zu greifende Sommer-Zuversicht ist nicht an Alter oder Generation gebunden. Das pubertierende Liebespärchen ist ebenso witzig und aufgeschlossen anzusehen wie das aufeinander eingespielte ältere Pärchen, das gar keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte, weil es für sie das selbstverständlichste von der Welt ist, nach 40 gemeinsamen Ehejahren zusammenzustehen.
In diesen Momenten darf ich spüren: von Menschen, die mit sich im einen sind, die in sich selbst ruhen und zufrieden sind mit sich ebenso wie von Menschen, die verliebt sind und aufeinander bezogen, da geht eine wunderbare verwandelnde Kraft aus. Solche Menschen stecken an. Menschliche Zufriedenheit, verzaubernde Zärtlichkeit, natürliche – auch körperliche – Nähe, all das offen und unverkrampft gezeigt, ist ein Geschenk, das wir Menschen einander machen dürfen und von dem wir zehren dürfen. Aber es ist noch mehr: Es ist ein ganz wichtiger Verweis.
Es ist ein Verweis auf die innergöttliche Beziehung, die zwischen Vater und Sohn zwischen dem Menschen Jesus und seinem göttlichen Vater lebendig ist. Gott zeigt sich auch so unverkrampft und so offenherzig, wie er ist, unverstellt und unverschnörkelt. Das Fest der Dreifaltigkeit Gottes ist ein Fest der göttlichen Liebe, die Vater und Sohn miteinander verbindet. Wo zwei sich lieben, da entsteht etwas wunderbares Neues. Zwischen Vater und Sohn lebt ein Geist, der einem vereinenden Dritten gleicht.
Und eben das wird bildhaft auch erfahrbar in der Liebe, die Menschen einander zu schenken fähig sind: Zwei – womöglich – ganz verschiedene Menschen, verschieden an Lebenserfahrungen und Lebenseinstellungen finden sich als Liebende zusammen und kommen unendlich nahe. Sie bleiben verschieden und sind doch einander verwoben. Und das, was sie in aller Unterschiedenheit verbindet, ist das, wofür es kein anderes Wort gibt als eben „Liebe“. Liebe ist mehr als etwas, was zum Leben, das ansonsten schwer genug ist, als Zuckerstückchen dazu käme, gleichsam als Wiedergutmachung oder Ausgleich für die harte und nicht immer angenehme Arbeit. Nein, Liebe erweist dem Anders- dem Eigen-Sein des Gegenübers Achtung und zugleich übersteigt sie die Unterschiede und verbindet, was unterschieden ist.
Des Fest der Dreifaltigkeit Gottes ist ein Fest der göttlichen Liebe, die Vater und Sohn einander tauschen und es ist gleichzeitig ein Fest menschlicher Liebe, weil gerade in ihr die spürbare Nähe Gottes in dieser Welt versichtbart ist.
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