Muss das denn wirklich sein: Streit?

Das kann doch kein Zufall sein: Zum Semesterende werden wir in eine handfeste Auseinandersetzung hineingezogen. Ich kann ja nur erahnen, wie ihr das auffasst, aber ich hätte mir für diesen Gottesdienst eine andere Erzählung vorstellen können, die ein wenig runterkommen lässt oder wenigstens ein bisschen ermutigender ist. Gerade ist der Vorlesungsalltag vorbei, da beginnt für viele die Klausurenphase. Wäre da nicht was Entspannteres angemessener? Stattdessen zusätzlich Stress. Vorausgesetzt, wir konzentrieren uns auf diesen Text des Evangeliums. Müssen wir ja nicht. Wir könnten uns auch freundlicheren Texten zuwenden. Der Lesung zum Beispiel. Über die Liebe nachzudenken ist allemal schöner, als sich mit Streitigkeiten rumzuschlagen.

Ich hätte auch noch einen anderen Vorschlag: Letzte Woche, als ich die Auswahlgespräche mit Kunststudierenden in Bonn geführt habe, da hat mich ein Bewerber aus Kassel auf eine tolle Idee gebracht. Er sagte, wenn er in einen Gottesdienst geht – das sicher nicht regelmäßig, aber immer wieder mal – dann wäre das für ihn wie ein Kurzurlaub. Um ihn herum ein vertrautes Zeremoniell, an dem man mehr oder weniger teilhaben muss und dazu eine absolut handyfreie Zone; wo besser könnte man abschalten und seinen eigenen Gedanken nachgehen, fragte er. Und er fügte hinzu: „Das ist ein schönes Gefühl, sich eingebunden zu wissen in einer Menge und zugleich ganz bei sich sein zu können.“

Jetzt fragt mich bitte nicht, warum ich dennoch in den letzten Tagen bevorzugt auf das Evangelium des Tages geschaut habe. Das hat womöglich persönliche Gründe, weil mir nämlich zu viel Harmoniesucht immer verdächtig erscheint. Und wohl auch deshalb, weil ich unsere Kirche gerade so erlebe, dass sie sich selbst im Weg steht. Es darf zwar gestritten werden, aber Die Auseinandersetzungen verlaufen zu oft im Sand, versanden buchstäblich und enden im Nichts. Von allen Seiten vernehmen wir den Ruf nach Veränderung und Erneuerung, alles müsse auf den Prüfstand: Die einseitige Machtverteilung auf den Klerus, die im Katechismus festgezurrte Sexualmoral, die jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren hat, die *-Problematik, die eigentlich nur für die Kirche noch problematisch ist, das gebetsmühlenartige Bekenntnis, die Kirche hätte die jungen Erwachsenen verloren.

All das höre ich schon so unendlich lange, dass ich jede und jeden verstehe, der wie Jesus durch diese ganze trübselige Menge hindurchläuft, um so sichtbar vor Augen führt, wie alleine sie eigentlich dastehen. Unsere Kirche beteuert mit viel Aufwand, sie wolle „bei dir sein“ und wenn es drauf ankommt, zieht sie es dann vor, doch lieber bei sich zu bleiben und bei ihren Überzeugungen und Lebenskonzepten. Es braucht unbedingt mehr Streit in der Kirche, hörbaren und kreativen Streit. Zuhören alleine genügt nicht, man muss auch ernst nehmen. Da bin ich sehr dankbar für so manche Erfahrung hier in der Khg, die mich gelehrt hat, dass etwas zu probieren, auch ohne absolute Erfolgsgarantie und ohne Absicherung, von wo auch immer – von oben, von Tradition und Lehre – allemal besser ist, als in Rechthaberei zu versinken. Kirche sollte nicht in erster Linie heilig und untadelig sein, sondern mutig und menschlich.

Wenn euch meine Gedanken zum Evangelium schon jetzt zu dreist oder zu abwegig erscheinen, dann versetzt euch wie Lutz in einen Kurzurlaub; schaltet einfach ab und lasst die Seele baumeln. Eure Nachbarn können euch ja anstupsen, wenn ich fertig bin.

Ich finde, streiten zu können, ist ein Lebensmotor; nicht Streit um des Streits willen, aber um der Sache und um der Menschen willen immer. Es sollte ein fairer Streit sein. Wer streitet, der hat eine Überzeugung. Wer streitet, der ist aber auch bereit, seine Überzeugung zu überdenken. Wer streitet, der ist interessiert an einem Austausch. Wer streitet, der weiß darum, dass es ein „Ich“ und ein „Du“ gibt und er weiß um den Vorteil eines „wir“. Und noch etwas ist wichtig: Wer streitet, braucht einen Raum und er braucht Zeit.

Nun plant man in der Regel ja einen Streit nicht lange voraus. Oft ergibt er sich einfach aus einer bestimmten Situation heraus. Gerade dann ist es notwendig, die Grundregeln eines Streits zu beachten.

Um was geht es in dem eben gehörten Streit zwischen Jesus und den Menschen? Diese hören ihm zunächst wohlwollend zu, um sich dann wutentbrannt von ihm abzuwenden? Es geht um Zutrauen, bzw. um verwehrtes Zutrauen. Die Menschen trauen Jesus nicht zu, im Geist Gottes reden und handeln zu können. „Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“, so zitiert Jesus aus den Heiligen Schriften und bezieht diese Aussage auf sich. Guter Geist, Geist Gottes ruhe auf ihm. Er ruhe deshalb auf ihm, um die Menschen zum Gutsein zu ermutigen, zum Menschsein.

Die Zuhörenden – Nachbarn, Freunde, Verwandte Jesu vielleicht – hören gespannt zu und zuerst sind sie wohl auch angetan von dem, was Jesus sagt: „Sie staunten über die Worte der Gnade“. Ich glaub wirklich, dass ihnen seine Worte gutgetan haben.

Dann kippt die Stimmung aber: „Ist das nicht der Sohn Josefs?“ Umgangssprachlich könnte man interpretieren: ‚Dat is doch dä Jung von de Nohbaschaf. Wat hät dä denn ze kamelle?‘ Sie können nicht glauben, dass einer von ihnen begnadet ist. Das ist der Knackpunkt, der zu dieser unschicklichen Situation führt.

Die Frage, die sich für mich daraus ergibt, ist die: Trauen wir einander zu, so wie wir sind, und nicht wie wir einander vorstellen oder gern hätten, von Gott beseelt zu sein? Und anders herum: Trauen wir Gott zu, dass er im anderen anders auftritt, als wir ihn uns vorstellen?

Ich bin sehr dankbar für Begegnungen hier und die Erfahrungen, dass Menschen einander guten Geist zutrauen über die Grenzen von Konfessions- und Religionszugehörigkeiten hinaus. Ich bin dankbar, dass Suchbereitschaft nach Leben und nach Gott nicht verwechselt wird mit Unwissenheit sondern wahrgenommen wird als bereichernde Neugierde. Ich bin dankbar für die Erkenntnis, dass das Fragen nach einer Zukunft für unsere Welt für die einen eine Frage nach Gott und für die anderen eine Frage der eigenen Verantwortung ist und Glaube wie Verantwortung nicht als Gegensätze proklamiert werden. Ich bin dankbar dafür, dass auch dann, wenn in einzelnen Situationen pastorale Überzeugungen und ökonomische Interessen gegeneinander stehen (Khg gegen Studentenwerk sozusagen) wir im Gespräch zu gemeinsamen Entscheidungen finden. Ich bin dankbar dafür, dass Freundschaften gewachsen sind zwischen Menschen hier in unserem Umfeld, die Zeit und Raum und unterschiedliche Interessen überdauert haben.

Streitbarkeit und Verbundenheit sind keine Gegensätze. Sie können zu einer Bereicherung werden, das Leben besser zu verstehen und das eigene Leben weitsichtiger zu gestalten. Im ehrlichen Ausgleich von Streitbarkeit und Gemeinsinn wird Gott umfassender erkennbar, der immer Geheimnis bleibt und sich dennoch je anders und neu in den verschiedenen Lebenserfahrungen widerspiegelt und erkennbar wird. Es ist wirklich so: Guter Geist wird auch erfahrbar in Spannung und Auseinandersetzung. Manchmal müssen diese auch nonverbal ausgetragen werden. Aufrecht und selbstbewusst schritt Jesus durch die Menge hindurch. Da müsste den Menschen doch ein Licht aufgegangen sein. Die Erzählung lässt das offen und darf uns hoffen lassen. Zum Schluss möchte ich danken für manches Licht, das mir danke Eurer Hilfe und Eurer Überzeugungen aufgegangen ist. Ich gehe mit einer bestärkenden Hoffnung und möchte Euch verbunden bleiben, so gut es geht.

Jetzt könnt ihr die Kurzurlauber neben euch, falls vorhanden, vorsichtig darauf hinweisen, dass es weitergeht mit der Feier.

Christoph Simonsen

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