Von Künstlern, Worten, Menschen und Gott

45 künstlerische Arbeiten in den Ausstellungsräumen der Hochschule der Künste in Dresden; 45 Versuche von jungen Künstlerinnen und Künstlern, dem Leben einen Ausdruck zu verleihen; 45 Beispiele dafür, dass wir Menschen, ob Künstler oder nicht, uns ausdrücken wollen, vermitteln wollen von dem, was in uns ist, was uns treibt, was uns überhaupt leben lässt. Und in all dem: 45 Herausforderungen für die, die betrachten, was die jungen Künstler da hingestellt und hingehängt habend Denn jede Skulptur, jedes Bild, jedes Video wirft Fragen auf: Was sehe ich? Was übersehe ich? Was will ich überhaupt sehen, wenn ich auf die Arbeit schaue, denn ein erster Blick auf eine Arbeit weckt Neugierde, aber auch Ablehnung und beides beeinflusst meine Bereitschaft, hinzuschauen, hinzuhören?

Es galt mal wieder, Stipendien des Cusanuswerkes für Kunststudierende zu vergeben und die Jurymitglieder mussten aus diesen 45 Arbeiten die herausfinden, die ein solches Stipendium erhalten sollten. Vier Kunstprofessoren, eine Referentin des Cusanuswerks und ein Hochschulpfarrer mussten diese Aufgabe bewältigen. Keiner der Jurymitglieder hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Und trotzdem: die Fachseite der Kunst hat es – so finde ich zumindest – immer einfacher als ich, Argumente für oder gegen eine Arbeit auf den Tisch zu legen. Die Professoren können sich auf die Formsprache der Arbeit beziehen, darauf, ob sie wirklich gut gemacht ist, darauf, ob das Material gut gewählt ist, ob es gut verarbeitet ist, ob die Präsentation gelungen ist, und so weiter. Meine Aufgabe war es, den Menschen hinter der Arbeit zu entdecken. Und da ging es mir zunächst so, wie wohl der Samariterin am Jakobsbrunnen, als sie Jesus begegnet ist. Wie wohl für sie die Worte Jesu einem Buch mit sieben Siegeln entsprungen sein müssen, habe ich oft nicht einordnen können, was ich gesehen habe. Was veranlasst einen junger Künstler, Schrauben und Muttern auf die Erde zu legen? Warum baut eine junge Künstlerin einen überdimensionalen Puppenwagen aus Holz in der Form eines Kreuzes und lädt bei der Vernissage die Besucherinnen und Besucher ein, sich hineinzulegen und herumfahren zu lassen? Warum fordert ein anderer Künstler die Besucherinnen und Besucher im Blick auf einen Bildschirm auf, einen Kopfhörer aufzusetzen, um dann seine Stimme zu hören, während der gesprochene Text auf dem Bildschirm erscheint, aber anders, als er im Original gesprochen wurde. Hinter jeder Arbeit steckt das Bemühen eines Menschen, etwas von seiner Sicht auf das Leben mitzuteilen. Und oft braucht es viel Zeit, eben diese Verknüpfung zwischen dem Kunstwerk und dem Menschen herauszufinden. Wundert es da, dass ich oft viel länger brauchte als die Fachprofessoren, ein Statement über die Arbeit abzugeben? Und bis heute bin ich mir nicht sicher, ob es mir wirklich gelungen ist, den Menschen hinter der Arbeit zu entdecken.

Worte sind auch wie Kunstwerke: Hinter ihnen befindet sich immer ein Mensch, der sie ausgesprochen hat und die Worte offenbaren etwas von diesem Menschen. Ob die Samariterin am Jakobsbrunnen wohl hinter den Worten: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, niemals mehr Durst haben“ den Menschen erkannt hat, der diese Worte zu ihr gesprochen hat. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie ähnlich dachte wie ich im Blick auf manche Arbeit. So ungefähr: ‚Der spinnt doch‘; oder: ‚die ist ja völlig verrückt, was soll dieser Unsinn‘? Kann hinter einem unverständlichen Wort, einem unerklärbaren Gedanken, hinter einem verrücken Kunstwerk ein Mensch stehen, der mir etwas Neues, Bedeutsames, Lebenswichtiges für mein Leben sagen oder zeigen kann? Ja, er kann es! Er kann es, wenn ich mich auf das Unverständliche, Unerklärbare, Verrückte einzulassen bereit bin. Und diese Bereitschaft ist nicht geknüpft an Intelligenz oder an Fachkompetenz. Voraussetzung ist vor all dem die Herzensüberzeugung, dass im anderen Gegenüber, im Fremden, in jedem Menschen Großartiges lebt; etwas, was meinen Durst nach Leben zu stillen vermag. Zu Ende gedacht heißt das doch nichts anderes, als dass im anderen sich Gott mir offenbart. Gott im Menschen irgendwo am Brunnen, der unverständliches erzählt; Gott im Menschen irgendwo in einem Museum, der mir verrücktes Zeug zeigt. Gott im Menschen, den ich nicht verstehe. Es wird nirgendwo berichtet, wie viel Zeit wohl die Samariterin benötigt hat, um dies zu verinnerlichen. Jesus sagt zwar noch: „Ich bin es, der mit dir spricht“. In mir zeigt sich dir der Gott, der Leben schenkt.

Sei es uns vergönnt, in dem, der zu uns spricht, Gott zu erkennen. Das wünsche ich uns. Es wird uns – dessen bin ich mir gewiss – am ehesten gelingen, wenn wir hinter den Worten, die uns zugesprochen werden bemüht sind, den Menschen zu entdecken. In diesem Menschen zeigt sich Gott.

Christoph Simonsen

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