Keine Angst vor der Dunkelheit

Die Tage werden wieder länger und die ersten Frühlingsgefühle konnten aufkommen: Die Sonne zeigte sich und wer draußen war, der konnte ein wenig ihre Wärme spüren. Schneeglöckchen und Krokusse springen auf. Ich bin mir sicher, nicht nur ich freue mich auf den Frühling. Nach den dunklen Wintertagen wieder eine Ahnung von Wärme und Licht zu bekommen, das ist einfach ein tolles Gefühl. Ich hab sogar schon die ersten mutigen Studis gesehen mit kurzen Hosen. Also Frühling, mach mal hinne und lass dich nicht mehr so lange bitten. Komm einfach. Wir vermissen dich alle.

Aber Licht und Wärme sind und bleiben nur die eine Seite des Lebens; Schatten und Dunkelheit lassen sich nicht so einfach ausblenden. Und das ist auch gut so. Besser schlafen tut man, wenn’s dunkel ist; und vorrangig die Dunkelheit bietet den Tieren Schutz, wenn sie verfolgt werden. Das Licht mag beliebter sein als die Dunkelheit, die Wärme behaglicher als die Kälte, und doch hat auch die Dunkelheit ihren Sinn und ihre Bedeutung.
Das nicht nur im wörtlichen, sondern auch in einem übertragenen Sinn. So bin ich zum Beispiel ganz froh, dass so manches in meinem Leben in der Dunkelheit verloren gegangen ist: Manches Traurige, auch manches Unvollkommene. Wenn wir auch die Sonnenseiten unseres Lebens lieber zeigen, so gehören die dunklen Seiten genauso dazu, wenn wir denn ehrlich sind. Es mag feige sein, unredlich vielleicht sogar, unmenschlich im schlimmsten Fall, und doch bin ich froh, dass ich manche Wirklichkeit meines Lebens ins Dunkle verbannen kann, so dass es die anderen nicht sehen. Sicher, das ist kein schöner menschlicher Schachzug; andererseits ist es eben doch menschlich, wenn ich vor den anderen gut dastehen möchte, denn die Angst vor Ablehnung und Isolierung ist groß. Die Welt war doch schon immer so: Wer Fehlerhaftes in seinem Leben zugibt, es sogar ungeschützt offenlegt, der hat in der Welt der Perfektion nichts zu suchen und kippt ganz schnell hinten runter.
Und so beginnen wir – leise und schleichend – abzuspalten und zu trennen, was doch eigentlich zusammengehört. Es entsteht die Welt des Lichts und die Welt der Dunkelheit. Und wir springen in unserem Inneren wie auch in unserem Verhalten mehr oder weniger gekonnt zwischen diesen Welten hin und her und verdrängen, wie gespalten unser Leben doch oft ist. Wir machen vergessen, dass dort, wo im Frühling die Sonne scheint, nicht nur das Schneeglöckchen wieder beginnt zu blühen, sondern auch das Moos und das Unkraut, das wir dann mit aller Mühe auszureißen versuchen im Wissen, dass es doch immer wieder kommt. Gott aber lässt die Sonne scheinen über Gutes und Böses. Und wir sind angehalten, alles wachsen und sogar reifen zu lassen bis zur Ernte.
Das Leben ist ein Ganzes und wird nicht dadurch wertvoller, dass wir es aufteilen in zwei Hälften: in eine vorzeigbare und in eine, die wir verstecken. Wir Menschen brauchen nicht zu retten und wir brauchen auch nicht zu richten. Wir bräuchten uns nur daran erinnern, dass Gott allein es ist, der das Leben – also auch das Unsrige – zu retten vermag, dann könnten wir aufhören uns zu Richtern zu erheben und über uns selbst oder über andere Gericht zu halten. Wenn dies allen klarer wäre, bräuchten wir uns auch vor unseren Fehlern und Schwächen nicht zu ängstigen und die Schwachstellen der anderen missbrauchen.
Wir könnten uns dieses Geschenk bewusster machen, und aufgrund dessen beginnen – wie es im heutigen Evangelium heißt – die Wahrheit zu tun. Und die Wahrheit ist, dass wir Menschen sind, unvollkommene, beschränkte Menschen. Nicht so tun, als sei alles nur licht und hell in unserem Leben und auch mutig ehrlich die Schattenseiten unseres Lebens verantworten, das ist wahrhaftig. Und es wäre möglich, denn niemand muss sich behaupten vor den anderen. Das Leben müsste nicht glatt gebügelt werden, wir könnten aufhören uns als Schöpfer eines utopischen, heilen Lebens zu gebären und wir dürften beginnen, uns in und mit unsrer Begrenztheit ins Licht Gottes zu stellen.

Unser Leben, und eben das Leben als Ganzes vollzieht sich im Licht und in der Dunkelheit. Je ehrlicher wir diese Wirklichkeit zulassen, je mehr wir uns eingestehen, Geschöpfe und nicht Schöpfer zu sein, umso mehr werden wir erfahren dürfen, in der Gnade Gottes zu stehen.
Also: Die Sache mit dem Licht und mit der Dunkelheit ist etwas komplexer, als wir vielleicht zuvor dachten. Wir könnten und dürften ehrlicher zugeben, dass beides zu unserem Leben dazu gehört. So schön der Frühling ist, auch der Winter hat seine schönen Seiten…Predigt am 11. März

Christoph Simonsen

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